Folgenschwerer Sauerstoffmangel Auch für Ungeborene ist Sauerstoff lebenswichtig
Sauerstoffmangel vor oder während der Geburt ist für ein Baby äußerst bedrohlich, schlimmstenfalls tödlich. Zwar kommt dies dank der intensiven medizinischen Überwachung nur noch bei weniger als drei Prozent aller Entbindungen vor. Dennoch gilt Sauerstoffmangel als häufigste Geburtskomplikation mit Folgeschäden, insbesondere Schädigung des Gehirns.
Vor allem Frühchen gehören zur Risikogruppe, bei ihnen ist das Risiko 20 für Sauerstoffmangel während der Geburt mal höher als bei voll ausgetragenen Kindern.
Sauerstoffmangel schädigt grundsätzlich alle Organe, doch das Gehirn reagiert am empfindlichsten. Hier sterben am schnellsten Zellen ab, wenn das Blut zu wenig Sauerstoff enthält. Die Schäden reichen von vorübergehenden Problemen, die von alleine wieder verschwinden, bis hin zu schweren Entwicklungsstörungen, Lähmungen und Behinderungen.
Wenn Babys ihre Versorgungsleitung kappen
Für Sauerstoffmangel gibt es verschiedene Gründe. Einer ist, dass die Plazenta das Kind nicht mehr richtig versorgen kann oder sich unbemerkt von der Gebärmutterwand ablöst. Ein anderer Grund ist, dass das Baby selbst die Sauerstoffzufuhr kappt, beispielsweise weil es sich bei einer Steißgeburt auf die Nabelschnur gesetzt hat. Oder sie wickelt sich derart um das Kind, dass die Versorgung unterbunden wird.
"Auf dem Ultraschall kann man das nicht gut erkennen. Oft ist es gar kein Problem, wenn die Nabelschnur sich um den Arm oder den Hals wickelt, solange sie lang und dick genug ist und nirgendwo dauerhaft abgedrückt wird", erklärt Roswitha Glimm, Hebamme am Theresienkrankenhaus in Nürnberg.
Aber auch Zuckerkrankheit der Mutter, Nikotinmissbrauch, angeborene Herzfehler oder Krankheitserreger sind Risikofaktoren für Sauerstoffmangel beim Ungeborenen.
Die Erfahrung einer Hebamme kann der Technik überlegen sein
Viele glauben, bei einer Schwangerschaft und Geburt könne heute kaum mehr etwas schiefgehen, weil alles kontinuierlich überwacht wird. Es gibt Ultraschalluntersuchungen, Wehenschreiber (CTG), Fruchtwasseruntersuchung, Blut- und Urinkontrollen. Trotzdem bleibt das Austragen und Gebären eines Babys ein natürlicher Vorgang, und manchmal lässt sich die Natur eben nur schwer in die Karten sehen.
Deshalb ist es von Vorteil, wenn eine Schwangere von einer erfahrenen Hebamme betreut wird, die nicht nur den Geräten, sondern auch ihrer Intuition vertraut. "Es gab schon Situationen, in denen anhand der Aufzeichnungen alles in Ordnung zu sein schien und allein mein Gefühl mich gemahnt hat, vorsichtig zu sein. Nicht immer war mein Gefühl richtig, aber so manches Mal wäre es für das Baby ohne diese innere Stimme gefährlich geworden", sagt Glimm.
Diese Faktoren werden während der Geburt überwacht
Schon die ersten Anzeichen einer Mangelversorgung werden von Hebammen und Ärzten ernst genommen. Grünes Fruchtwasser zum Beispiel deutet auf eine Stresssituation im Mutterleib hin, die dazu führen kann, dass das Ungeborene Kindspech aus dem Darm ausscheidet. Dann besteht die Gefahr, dass es das so genannte Mekonium einatmet.
Abklären lässt sich auch der Sauerstoffgehalt im Blut, zum Beispiel, wenn das Kind im Geburtskanal feststeckt. Dazu wird ein Blutstropfen aus der Kopfhaut des Babys entnommen und untersucht. Kurz nach der Geburt überprüft man den pH-Wert mittels Blutgasanalyse, wobei man Blut aus der Nabelschnurarterie entnimmt.
Ein weiterer Kontrollwert ist der Apgar-Score, bei dem Aussehen, Puls, Reflexe, Muskeltonus und Atmung des Neugeborenen beurteilt werden. Dieser Wert wird eine Minute nach der Geburt sowie in der fünften und zehnten Minute bestimmt. Ein niedriger erster Wert zeigt Einflüsse, die während der Entbindung aufgetreten sind, die späteren Werte deuten auf einen längeren Sauerstoffmangel hin, der innerhalb von Minuten Schädigungen der Nervenbahnen und des zentralen Nervensystems bewirken kann.
Oft verschlechtern sich die Herztöne
Bei rund 80 Prozent der Geburten, die per CTG überwacht werden, sinkt während der Wehen die Herzfrequenz des Babys - trotzdem steckt nur selten eine Mangelversorgung dahinter. Aber sicher ist sicher. "Eine erfahrene Hebamme kann aus einem CTG sehr viel herauslesen. Wir wissen zwar oft nicht, warum die Herztöne gerade so schlecht sind", erklärt die Hebamme, "aber wir wissen, dass es dem Kind nicht gutgeht." Dann versucht man es erst einmal mit einem Lagewechsel der Gebärenden oder anderen Methoden. Wenn sich das CTG nicht zum Positiven verändert, wird ein Arzt geholt, die Wehen werden unterbrochen, um den Sauerstoffbedarf des Kindes zu senken und meistens wird ein Kaiserschnitt vorgenommen. "Schließlich will niemand riskieren, dass der Säugling in Gefahr gerät."
Ein Fehler kann für Ärzte und Hebammen teuer werden
Schnelles Handeln ist, so hart es klingt, ist auch eine Haftungsfrage. Wenn ein Kind eine Behinderung davonträgt und Ärzten oder Hebammen ein vermeidbarer Fehler nachgewiesen wird, müssen die Versicherungen Summen in Millionenhöhe zahlen. Deshalb werden Schwangere in Kliniken bei der Geburt schon fast dauerüberwacht. Nur so lässt sich dokumentieren, dass Ärzte und Hebammen nichts übersehen oder falsch interpretiert haben.
Allerdings gibt die Hebamme zu bedenken: "Es liegt im Interesse der Natur, die Art zu erhalten und deshalb macht sie alles dafür, das werdende Leben zu schützen. Aber auch die Natur ist leider nicht perfekt und weil man eine Schwangere nicht kontinuierlich neun Monate überwachen kann, muss manchmal ein intrauteriner Fruchttod als schicksalhaft angenommen werden. Natürlich fällt das schwer. Aber weder die werdenden Eltern, noch wir Hebammen und Ärzte haben alles in der Hand."
Kältetherapie kann das Gehirn vor Schäden bewahren
Den meisten Babys, die einen kurzen Sauerstoffmangel erlitten haben, geht es nach der Entbindung wieder gut und langfristige Folgen bleiben aus, beziehungsweise können durch Physiotherapie ausgeglichen werden. Manchmal werden die Kinder noch eine Weile auf der Intensivstation überwacht.
Der Verdacht, dass schon leichter Sauerstoffmangel spätere Entwicklungs- und Verhaltensstörungen zur Folge hat, konnte noch nicht wissenschaftlich bewiesen werden.
Nur selten müssen Ärzte massive Maßnahmen ergreifen, um größere Schäden im Gehirn zu vermeiden. Eine Methode ist Kühlung: Der Körper des Neugeborenen wird für 72 Stunden auf 33,5 Grad abgekühlt und danach langsam wieder erwärmt. Die so behandelten Kinder entwickeln seltener Störungen als die Vergleichsgruppen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.